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Tagung 2002


Tagung 2002
Der maschinelle Bleisatz


Tagungsband "Der maschinelle Bleisatz - Aspekte zur Technik- Wirtschafts- und Sozialgeschichte
Jahrestagung des Internationalen Arbeitskreises Druck- und Mediengeschichte in Leipzig. Hg. von Silvia Werrfel
(Beiträge zur Druckgeschichte. Hg. von Dr. Harry Neß für den Internationalen Arbeitskeis Druck- und Mediengeschichte e.V. Band 2 (2008). ISBN 978-907-191-19-4.

Preis:

zu beziehen über: Deutsches Zeitungsmuseum, Dr. Roger Münch, muench@deutsches-zeitungsmuseum.de

Als Leitfaden gab der IADM wie im letzten Jahr in Stuttgart, als die Geschichte der Druckfarben zwischen Alchemie und Hightech auf dem Programm stand, eine Zeitleiste vor, die die Entwicklung der Bleisetzmaschinen von 1822 (William Church) bis 1914 (Stringertype) in allen Details beschrieb und so eine Orientierungshilfe den Teilnehmern an die Hand gab, um die nachfolgenden Referate zeitlich besser einordnen zu können. Schon bei diesem Überblick wurde deutlich, welche dominierende Rolle die Mergenthaler Linotype Company gegenüber ihren Mitbewerbern ausspielte und durch fortwährende Firmenaufkäufe viele gute Ideen zum Schaden der allgemeinen Entwicklung in der Versenkung verschwinden ließ.

Vorführungen u.a. an der „Victorline“ von Heinrich Degener und an der “Typograph“ von John Rogers in den Museumswerkstätten unterstrichen diese Aussage. Die „Typograph“ überlebte in Deutschland mit einer Fertigung bei Ludwig Loewe in Berlin nur deswegen, weil man bei Linotype eine Zweigfertigung in Kanada übersehen hatte, woher Isidor Loewe 1895 eine Lizenz bezog. Für die Übernahme der „Monoline“ von Wilbur Stephan Scrudder zahlte Linotype 1905 die exorbitant hohe Summe von 1,25 Mio. US-Golddollar und dies nur, um ihre Produktion einzustellen, obwohl damals bereits 1200 Maschinen im Markt abgesetzt worden waren. Und auch die legendäre Setz- und Ablegemaschine von James Paige, an der Mark Twain sein gesamtes Vermögen verlor, scheint nur deshalb kommerzeill misslungen zu sein, weil Linotype sie preislich an die Wand drückte, um am Ende die Rechte zu erwerben.


Blocksatz und Flattersatz von Anfang an

Nach Begrüßung der Tagungsteilnehmer durch den Vorsitzenden des Arbeitskreises, Dr. Harry Neß, ging Prof. Hans Andrée von der Hochschule für Bildende Künste in Berlin in seinem Referat „Archetypus Blocksatz – Gutenbergs gestalterische Entscheidung und das satztechnische Nachspiel“ bis zu Gutenbergs 42-zeiliger Bibel zurück, bei der bereits im Blocksatz umbrochen wurde. Das dazu erforderliche Ausschließen konnte dabei in der doppelten Bedeutung des Wortes als ein gegen Veränderbarkeit des Textes gerichtetes „Aussperren“ verstanden werden. Für „offene Texte“ bestand daneben schon seit dieser frühen Inkunabelzeit der Flattersatz. In der Renaissance verbündete sich der Blocksatz mit den Symbolen Symmetrie und Rechtwinkligkeit zu einem buchtypographischen Optimum.

Die späteren Bleisetzmaschinen hatten die Forderung nach Blocksatz gleich von Anfang an zu erfüllen, wobei neben die Logotypen für Buchstabenverschmelzungen und die Gevierte für Wortzwischenräume, die Spatien als Ausschließkeile traten, von denen Joseph (Tom) Thorne 1880 schon eine gewellte, d.h. elastische Ausführung einführte.

Eine Kritik am Blocksatz setzte erst im letzten Jahrhundert durch die Konstruktivisten ein, die sich gegen eine „Verquälung“ des Satzes wandten. Am Ende obsiegten aber beide Versionen, was sich noch heute in den Zeitungen offenbart, wo der Flattersatz zum Hervorheben von Besonderem, wie Vorworte, Kommentare und Leserbriefe Verwendung findet, während der allgemeine Text im Blocksatz umbrochen wird.

Philipp Luidl, ehemaliger Dozent für Typographie an der Fachhochschule München, ging der Frage nach: „Typographie – technischer Fortschritt wohin?“. Das Goethe-Wort unterstellend, dass der Mensch das Maß aller Dinge sei, zeigte er mit einer Zeitreise durch die Geschichte der Textgestaltung an zahlreichen Beispielen, dass der Mensch heute dabei von Werkzeugen gelenkt zu werden scheint. Die Menschen starren heutzutage auf den Computer wie das Kaninchen auf die Schlange und gehen völlig wahllos mit der Typographie um, konstatierte er enttäuscht.

Es sei schwer vorhersagbar, wohin das alles führen werde – sicher weg von der Vernunft. Neben die Barberei im Stilistischen träte eine Verrohung der Sprache und eine Vergewaltigung der Grammatik in Richtung einer Vereinfachung, damit die Maschine keine Fehler mehr machen könne. Mit zwei Beispielen aus der jüngsten Werbung schloss er sein leidenschaftlich vorgetragenes Referat. „Jetzt mit ohne Fleisch!“ und dazu die Aufforderung: „Nicht lesen, essen!“ stand da in einer Anzeige für vegetarische Fertiggerichte.


Setzmaschinentarife als Mittel der Technologieförderung?

Reinald Schröder, M.A., Verleger und Publizist in Diepholz, referierte über „Tarifauseinandersetzungen im 19. und 20. Jahrhundert“ und stellte heraus, dass sich trotz aller technologischen Umwälzungen der Setzvorgang in den deutschen Betrieben fast das ganze 19. Jahrhundert hindurch einer Mechanisierung hartnäckig widersetzte.

Der um 1900 zwischen den Gewerkschaften und den Arbeitgebern ausgehandelte Setzmaschinentarif war deshalb ein herausragendes tarifpolitisches Ereignis mit großem Erfolg für die Beschäftigten. Denn hiermit wurde durchgesetzt, dass nur gelernte Setzer an den Maschinen arbeiten durften. Akkordarbeit war untersagt, der Stundenlohn um 25% erhöht und die Tagesarbeitszeit auf 8 Stunden begrenzt worden. Damit wurde der Maschinensetzer besser bezahlt als der Handsetzer bei zudem kürzerer Arbeitszeit.

Erst nach dieser Tarifregelung verbreiteten sich die Setzmaschinen auch in Deutschland, nachdem sie in Nordamerika schon zehn Jahre vorher weite Verbreitung gefunden hatten. Um 1914 gab es allerdings immer noch 44 000 Handsetzer in Deutschland. Die Setzmaschinen von Linotype, Monotype, Typograph, Monoline und schließlich noch die von Intertype machten schließlich das Rennen.

Mitte der 1970er Jahre versuchte man den Computer- und Fotosatz mit den gleichen Mitteln einzuschränken, indem man ihn verteuerte, dies scheiterte jedoch daran, dass die Setzmaschinenarbeit quasi über Nacht zur Schreibmaschinenarbeit „degradiert“ war und ebenso gut von den üblichen Bürokräften versehen werden konnte. Zudem übernahmen in der Folge die Autoren und Redakteure selbst diese Arbeit, sodass ein ganzer Produktionsschritt wegfiel. Da der Setzerberuf vordem die Elite des gesamten Druckereistandes darstellte, war dieser Einschnitt für die Betroffenen besonders schmerzlich.


Das machtpolitische Vorgehen der Maschinensetzer gegen Frauenarbeit

Dr. habil. Brigitte Robak von der Universität Marburg widmete ihr Referat der Frage, warum Setzerinnen nur in der Anfangszeit der Setzmaschinenentwicklung zum Einsatz kamen. Setzerinnen bedienten bereits die „Pianotype“ von James Young und Adrien Delcambre aus dem Jahre 1840 und das setzte sich fort bei fast allen frühen Setzmaschinen wie die von Rosenborg (1844), Tschulik (1846), Brown ( 1871) und Frazer (1876).

In ihrer Analyse kam sie zu dem Ergebnis, dass dies nicht darauf zurückzuführen war, dass diese Tätigkeit als besonders einfach eingestuft wurde – eine gängige Erklärung für den Einsatz weiblicher Arbeitskräfte im mechanischen Betrieb – sondern weil der Umgang mit der unausgereiften und störanfälligen neuen Technik ein hohes Maß an Intelligenz und Lernbereitschaft erforderte, die bei den weiblichen Arbeitskräften besser ausgeprägt vorlag.

Als einen unter vielen Beweisen für ihre Behauptung führte sie den Einsatz der Kastenbein’schen Setzmaschine um 1879 bei der Reichsdruckerei in Berlin an, die von Anfang an gut arbeitete, dann aber zur Seite gestellt wurde, weil die Herren Setzer unwillig (unfähig?) waren, daran länger als 5 Stunden am Tag zu arbeiten. Zur gleichen Zeit waren die Kastenbein-Setzmaschinen in Paris und Kopenhagen über die volle Schichtlänge in Betrieb, da sie durch Setzerinnen unter Aufsicht einer Bürodirectrice bedient wurden. Auch bei den „Dresdner Nachrichten“ arbeiteten 1882 diese Maschinen konkurrenzlos erfolgreich, nachdem man 20 Setzerinnen dazu eingestellt und für sie eine Ausnahmegenehmigung zur Nachtarbeit erwirkt hatte.

Erst mit dem Aufkommen der Zeilensetzmaschinen bei Einschluss des Gießvorgangs verwehrte man den Frauen den Zugang zum Maschinensetzerberuf, angeblich weil man ihnen die komplizierte Technik, den Lärm und den Bleidampf nicht zumuten könne. In Wirklichkeit seien es jedoch machtpolitische Ansprüche der Setzer gewesen, resümierte Dr. Robak ihr ausgezeichnetes Referat und schloss mit den Worten: "Offenbar war es für die Herren Setzer leichter, den eisernen Kollegen zu akzeptieren, als die Setzerin aus gleichem Fleisch und Blut".


Äußere Einflüsse führten zur Ablösung des Bleisatzes durch den Fotosatz

Den Abschluss der Tagung bildete ein Referat von Dr. phil., Dipl.-Ing. Christoph Reske vom Institut für Buchwissenschaften der Universität Mainz mit dem Thema: „Das Ende einer Ära – warum wurde der maschinelle Bleisatz vom Fotosatz abgelöst?".

Dr. Reske gab dabei einen sehr detaillierten Überblick der Fotosetzmaschinenentwicklung seit der Uhertype und der Lumitype bis zu den Laserbelichtern heutiger Tage und wies damit nach, dass es nicht nur die Geräteentwicklungen waren, die den Wechsel bewirkten, sondern sich vor allem die äußeren Bedingungen geändert hatten.

Eine bessere Druckqualität bei gleichzeitiger Rationalisierung wurde besonders von der Werbewirtschaft verlangt – eine Forderung, die nur vom Offsetdruck und vom Tiefdruck erfüllt werden konnte. Diese brauchten aber den Film und nicht den Bleisatz als Ausgangspunkt. So fiel der Anteil des Hochdrucks, der in 1955 noch einen Anteil von 69% aufwies, auf nur noch 40% in 1981, dem Jahr, als dieser erstmals vom Offsetdruck mit 41% übertrumpft wurde.

Den Referaten schloss sich ein ausführlicher Rundgang in den Werkstätten des Museums für Druckkunst (ehemalige Offizin Haag-Drugulin von 1829, bzw. 1868) an, wo der Direktor des Museums, Eckehardt SchumacherGebler, an den zahlreichen betriebsbereiten Bleisetzmaschinen deren Besonderheiten erklärte.