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Tagung 2005


400 Jahre Zeitungsdruck, Deutsches Zeitungsmuseum Wadgassen

Erst die Drucktechnik machte die Zeitung "groß"

Bericht von der 24. IADM-Jahrestagung im Deutschen Zeitungsmuseum in Wadgassen-Saar

Mehrere Ausstellungen und Vortragsveranstaltungen feierten in diesem Jahr das Jubiläum „400 Jahre Zeitung“, wobei jedoch fast immer nur Inhaltliches im Mittelpunkt stand. Erst die Sonderschau auf der IfraExpo Mitte November in Leipzig und die IADM-Jahrestagung "400 Jahre Zeitungsdruck – Herausforderung für die Technik" Anfang November in Wadgassen rückten die Drucktechnik in den Vordergrund, mit der die Zeitungen im doppelten Sinne des Wortes „groß“ wurden: groß im Seitenformat und Umfang, groß in der massenhaften Verbreitung und damit groß auch hinsichtlich der politischen Bedeutung.


Einführung - 400 Jahre Zeitungsdruck

Der vom IADM vorbereitete Übersichtsvortrag am Anfang der Wadgassener Tagung zeigte auf, dass sich die hölzernen Handpressen vom 15. bis zum Ende des 18. Jhd. kaum änderten. Erst zu Beginn des 19. Jhd. setzte mit den eisernen Handpressen eine Vielfalt von Pressentypen im Druckprinzip Flach/Flach ein, wie dies auch im allgemeinen Maschinenbau der spanlosen Fertigungstechnik zu beobachten war, die jedoch zunächst bei gleichem Seitenformat nur für Mehrfachnutzen eingesetzt wurden. Die von Charles Lord Stanhope weiterentwickelte Tilloch’sche Gips-Flachstereotypie schuf die Voraussetzung dazu.
Neues Druckprinzip erst nach 350 Jahren
Erst mit dem Übergang zum Druckprinzip Flach/Rund bei der Schnellpresse von Friedrich Koenig 1812 und mit der Doppelschnellpresse von 1814 bei "The Times" wurde ein größeres Zeitungsformat möglich. Mit den steigenden Zeitungsauflagen in den wachsenden Großstädten wurden diese zu vierfachwirkenden Doppel-Schnellpressen und schließlich zu zehnfachwirkenden Bogenrotationsmaschinen im Druckprinzip Rund/Rund ausgebaut. Die so genannten „Ten Feeders“ des Druckmaschinen-Herstellers Hoe in USA waren wahre Monstermaschinen, die mehrstöckige Hallen ausfüllten und von denen Hoe doch in kürzester Zeit nicht weniger als 156 Maschinen absetzten konnte. 1855/56 war die Rundstereotypie als Doppelerfindung von James Dellagana und Charles Graske dafür erfunden worden.
Die Überreizung der Maschinenbautechnik mit den vielen Bogenanlegern und ihrem hohen Personalbedarf rief den Außenseiter William Bullock 1859 auf den Plan, der die Vielzahl an Bogenanlegern durch eine einzige Zuführung des Papiers in Rollenform ersetzte. Schließlich war das Papier schon seit 1804 in Nicolas-Louis Roberts Papiermaschine endlos hergestellt und als Papierrollen geliefert worden. Damit begann die Rollenrotationsmaschine ihren Siegeszug in den Zeitungsdruckereien von USA über England auch in Europa. Wiederum setzte mit der Vervielfachung der Maschinenaggregate und ihrer Anordnung im Ganzen eine große Bauartenvielfalt ein, die sich zuerst in der Vertikalen und später in der Horizontalen orientierte. Reihenbauweise nennt man dies heute. Im gleichen Maße stiegen die Produktionsgeschwindigkeiten von 120-200 Bogen/Std. (Handpressen) auf 1 200-4 000 Bogen/Std. (Schnellpressen) und zu 8 000, 12 000, 15 000, 20 000 und schließlich 30 000 Expl./Std. in Sammelproduktion (Rollenrotationsmaschinen). Heute sind
45 000 Expl./Std. in Sammelproduktion und 90 000 Expl./Std. in Doppelproduktion üblich.
Weitere Aspekte: Pressefotografie und Schrift
Im zweiten Referat ging Prof. Dr. Clemens Zimmermann vom Institut für Mediengeschichte der Universität des Saarlandes in Saarbrücken der Frage nach, wie die Geschichte der Presse-Fotografie in einem Forschungsprojekt besser erfasst werden kann. Er wolle dies auf den drei Ebenen versuchen: Produktions-Analyse, Produkt-Analyse und Rezeption. Während für Ersteres die Entwicklung der Autotypietechnik entscheidend ist, steht bei der Produkt-Analyse das Beispiel im Vordergrund, wie die berühmten Pressefotos von Erich Salomon aus den 1930er Jahren. Bei der Rezeption biete sich die zu Hilfenahme von Bildbänden an, um zu ergründen, was die Leser zu sehen bekamen. Er fasste schließlich die gewonnenen Einblicke in die folgenden fünf Forschungsfelder zusammen:
1. Das Selbstverständnis und die berufliche Lage der Fotojournalisten.
2. Die technischen Möglichkeiten und ihre Geschichte (Mobilität, Kooperation, Digitalisierung und Folgen für die Kreativität).
3. Geschichte des Layouts und der Skandalisierung.
4. Darstellung von Gewalt (Kriegsberichterstattung, Polizeieinsätze, Straßenkrawalle).
5. Die methodische Erfassung der Leserschaft (Rezeptionsweise und Nachfrage der Leserschaft und "Wie haben die Bildredaktionen darauf reagiert?").
Silvia Werfel, Redakteurin des "Journal für Druckgeschichte", untersuchte die Entwicklung der Schriften in der Zeitung. Als Johann Carolus 1605 in Straßburg seine Relation druckte, waren im deutschen Sprachraum gebrochene Schriften wie Fraktur und Schwabacher (für Volkssprachliches) und Antiqua (für Fremdsprachliches wie Latein) üblich. Da es mit der "Hildesheimer Allgemeinen Zeitung" hierzulande eine Zeitung gibt, die 300 Jahre ihrer Existenz dokumentiert hat, benutzte Silvia Werfel diese, um daran die Entwicklung der Zeitungsschriften zu demonstrieren. Die Vorherrschaft von Fraktur und Schwabacher beendete erst der Bormann-Erlass vom Januar 1941, der die gebrochenen Schriften als "Schwabacher Judenlettern" verbot und die Antiqua zur Normalschrift bestimmte.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass ursprünglich für Zeitungen wie für Bücher die gleichen Schriften verwendet wurden, immer im Stil der Zeit. Spezielle Zeitungsschriften entstanden erst seit den 1920er Jahren, bedingt durch die Besonderheiten des Zeitungsdrucks (Stereotypie, Rotationsdruckmaschinen, schlechtes Papier) mit kräftigen, den Anforderungen standhaltenden Serifen (Chauncey H. Griffiths "Legibility Groups"). Eine besondere Rolle spielt die zwischen 1929 und 1932 von Stanley Morison für die Londoner „Times“ konzipierte, mittlerweile jedem PC-Nutzer vertraute gleichnamige Schrift. Dank verfeinerter Drucktechnik (Offsetdruck) und besserem Papier ist heute wieder eine Hinwendung zu vielseitig einsetzbaren Schriften zu beobachten.
Druckproduktion ohne gemütliche Beschaulichkeit


Tagesschrifttum im sozialen Kontext seiner Produktion

Dr. Harry Neß hatte es übernommen, über das Tagesschrifttum im sozialen Kontext seiner Produktion zu sprechen. Er stellte seinem Referat das Brecht-Wort: "…die im Dunkeln sieht man nicht“ voran. Ganz bewusst wählte er statt "Zeitung" den Begriff "Tagesschrifttum", um mehr Transparenz bei der Ökonomie und den sozialen Verhältnissen zu gewinnen. Er beschrieb die Arbeitsbedingungen im London des 18. Jhd, die sozialen Auseinandersetzungen im 18. und 19. Jhd. und schließlich die Entstehung des Journalistenberufes. Sein Anliegen war, einer romantischen Verklärung der Vergangenheit entgegen zu wirken und das Fehlen von Beschaulichkeit offen zu legen. Ohne zu dramatisieren, suchte Harry Neß die „Realität hinter der Technik“ zu veranschaulichen, immerhin war die 72-Stunden-Woche im 18. Jhd. nicht die Ausnahme, sondern die Regel.


Sammeln und Ausstellen - Exponate der Zeitungsgeschichte

Podiumsdisskussion "Exponate zur Zeitungsgeschichte – Sammeln und Ausstellen".
Im Mittelpunkt der Tagung stand eine von Dr. Volker Benad-Wagenhoff, Kurator des Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim, moderierte Podiumsdiskussion zum Thema: "Exponate zur Zeitungsgeschichte: Sammeln und Ausstellen". Zusammenfassend brachte diese Podiumsdiskussion die folgenden Statements:

Prof. Dr. Joan Hemels vom Nederlands Persmuseum (www.persmuseum.nl) in Amsterdam und Kommunikationsgeschichte an der Universität lehrend, hob hervor, dass es immer schwieriger werde, geeignete Sammlungen aus Privathand zu bekommen, da man mit elektronischen Märkten wie „ebay“ konkurrieren müsse und kaum noch etwas geschenkt bekommt. Glück hatte man bei der Schenkung der Karikaturen-Sammlung, die gegenwärtig neben der seit 2001 bestehenden Dauerausstellung bis 29. Januar 2006 zu sehen ist. Das Persmuseum sammelt insgesamt eher ausstellungsbezogen.
Thorsten Schmidt ist Dipl.-Archivar und Leiter des Zeitungs- und Pressearchiv der Universitäts- und Landesbibliothek Münster. Der Bestand umfasst 50 000 Zeitungsbände und 25 000 Mikrofilme mit Zeitungsbeständen. Das Archiv ist zugleich die Pflichtsammelstelle für den Regierungsbezirk. Darüber hinaus werden Ausgaben der Yellow Press, Frauen- und Publikumszeitschriften und sogar der "Wachturm" der Zeugen Jehovas gesammelt – der "Archivar darf kein Zensor sein", so Thorsten Schmidt. Er warnte vor unsystematischer blinder Sammelwut – man müsse sich mit Kollegenbetrieben abstimmen, um nicht überall das Gleiche zu archivieren. Es sei kaum glaublich, was alles gesammelt wird. Kürzlich wurde eine Zeitungssammlung bestehend aus 600 000 Exemplaren als Altpapier eingestampft, weil der Stadtkämmerer der betreffenden Stadt weder Geld zur Archivierung, noch zur Digitalisierung der Bestände hatte. Sein Archiv darf laut Gesetz nur kostenfrei erwerben, wobei der Vorbehalt zu machen ist, im Bedarfsfall auch "makulieren" zu dürfen.
Harald Braem ist Privatsammler von Zeitungen des 17.-19. Jhd, dies seit zwanzig Jahren. Zu seinen Schätzen gehört das einzige Exemplar der "Straßburger Relation" von 1609 in Privatbesitz. Die ursprünglich beabsichtigte Universalität gab er eines Tages auf – 50 000 Originale sind gegenwärtig in seinem Besitz. Mittlerweile sammelt er nur noch Spezielles. Die Qualität ist für ihn entscheidend. Einzelstücke sind für ihn wichtiger als vollständige Jahrgänge. Nur gelegentlich führt er kleinere Ausstellungen durch. Es sei richtig, bei Ausleihen keine Auflagen zu machen, doch müsse der Ausleiher die Stücke mit der gleichen Sorgfalt wie der Sammler behandeln. Er habe da schon schlechte Erfahrungen gemacht, wenn Vitrinen mit kostbaren Exemplaren wie kürzlich in Bremen in die Nähe von Fenstern gestellt werden, wodurch Sonnenlicht auf das vergilbungsempfindliche Papier fiel. Er würde deshalb sein 1609er Exemplar nur ungern aus der Hand geben, sei jedoch selbst daran interessiert, Originale in Ausstellungen zu sehen.
Dr. Roger Münch, Direktor des Deutschen Zeitungsmuseum in Wadgassen, plädierte dafür, alles zu sammeln, denn wir müssen für zukünftige Generationen sammeln. Darin eingeschlossen sollten auch dreidimensionale Objekte sein, wie Zeitungsstöcke, Handys, Mützen und Kullis mit Werbeaufdrucken und natürlich Maschinen. Schließlich sind die Aufgaben eines Museums eindeutig festgelegt: Sie umfassen das Sammeln und Bewahren, Forschen und Präsentieren. Wolle man hier selektiv vorgehen, müssten die Begriffe neu definiert werden.
Der Moderator fasste am Ende zusammen: Wir wollen alles sammeln, aber das geht nicht. Zuwendungen von außen gibt es kaum noch. Zudem sind Schenkungen wegen der Folgekosten oft recht teure Angelegenheiten. Mehr Zusammenarbeit und Austausch ist dringend geboten. Nur ein gut funktionierendes Netzwerk der entsprechenden Institutionen und Privatsammler – ohne Konkurrenzdenken – kann verhindern, dass ohne Absprache weggeworfen oder doppelt und dreifach dasselbe gesammelt wird.


Blick in die Zukunft

Die letzten drei Vorträge waren der Gegenwart und der Zukunft der Zeitung gewidmet.

Wie sehen Zeitungen in der Zukunft aus?

Norbert Küpper vom Büro für Zeitungsdesign in Meerbusch demonstrierte an einer Vielzahl von Design-Beispielen aus dem Wettbewerb "European Newspaper Award" wie sich die Gestaltung der Zeitungen seit Einführung des Offsetdrucks mit seiner Gestaltungsfreiheit und Farbigkeit geändert hat. Vorurteile wie Farbe ist unseriös und Tabloid-Formate zeigen in Richtung Boulevard-Presse sind längst über Bord geworfen worden. Selbst kostenlos verteilte Zeitungen, wie „20 Cent“ im Saarland, unterscheiden sich heute kaum von den Abonnement-Zeitungen. Das alles wurde mit der weltweiten Verbreitung von „USA Today“ vor 25 Jahren eingeläutet – einer Zeitung für Geschäftsreisende. Prognose: Die Zeitung von morgen wird noch stärker mit Visualisierungen arbeiten, also "magaziniger" werden.


Zeitungsdrucktechnik heute

Manfred Werfel, Deputy CEO der Ifra in Darmstadt, erklärte die gegenwärtigen Entwicklungstrends im Zeitungsdruck, speziell der Zeitungsdruckmaschinen, mit den so genannten „Jumbo“-Maschinen“, die sechs statt vier Druckplatten in der Breite tragen und damit weniger Raumlänge und weniger Papierrollenhandling beanspruchen. Die "Colorman XXL" der MAN Roland AG und die "Commander 6/2" von KBA, aber auch die "Color Top 9000" der japanischen TKS sind hier zu nennen. Den Trend zur Kompaktbauweise demonstrieren Zum Beispiel die "Cortina" von KBA und das „FPS“ von Goss in England. Schließlich beschrieb er noch den Trend zur Digitalisierung am Beispiel der „Evolution“ von Wifag in der Schweiz und der „DICOweb“ von MAN Roland. Auch auf die Bestrebungen, durch "Distribute and Print" auf zentralisiert aufgestellte Zeitungsdruckmaschinen ganz zu verzichten ging er ein, was bisher jedoch nur Nischenmärkte (Zeitungen an Urlaubsorten) bedienen konnte.


Die individuell gedruckte Zeitung

Am Schluss der Tagung berichtete noch Prof. Dr. Detlef Schoder vom Seminar für Wirtschaftsinformatik und Informationsmanagement der Uni Köln über ein Projekt zur Realisierung einer individuell gedruckten Zeitung, die die Flut an nicht gelesenen Zeitungsseiten vermeiden soll. Ein vorher eingegebenes Interessenprofil soll dabei die für den Rezipienten interessanten Artikel auswählen und ein Mehrzahl-Spektrum den Zufallseffekt bei Unerahntem nicht verloren gehen lassen.
Ein abendlicher Besuch der Zeitungsdruckerei der "Saarbrücker Zeitung" und ein Rundgang durch das „Deutsche Zeitungsmuseum“ rundeten das Tagungsprogramm ab.



Autor: Boris Fuchs